Nachbericht + Stream: Zwischen Pitch-Unkultur und validen Selektionsverfahren
Bei einer Online-Diskussion am 17. März 2021 diskutierten hochkarätige Auftraggeber*innen, der Wiener Fachgruppenobmann und Agenturvertreter*innen über Österreichs Pitch-(Un)Kultur. Zusammen mit dem Vergaberechtsanwalt Martin Schiefer, der seine juristische Perspektive einbrachte, ging man brisanten Themen auf die Spur: Dienen Chemistry-Meetings der besseren Teamzusammensetzung? Wie offen oder wie reguliert sollte ein Pitchprozess sein? Wird die Corona-Krise die Auswahlkriterien bei Vergabeverfahren verändern? Durch den Abend führte Moderator Alexander Oswald, Präsident der Österreichischen Marketinggesellschaft (ÖMG) und Managing Partner der Futura GmbH.
„Es ist ein antiquiertes Bild, das Unternehmen von Agenturen haben: Denken ist eh umsonst. Dass Unternehmen schon vor einer Beauftragung kreative Ausarbeitungen von Agenturen verlangen, ist ein Unding“, so eröffnet Alexander Oswald die Diskussion rund um das Thema „Zwischen Pitch-Unkultur und validen Selektionsverfahren – Wettbewerbsprozesse in Krisenzeiten“. Auf Unternehmensseite diskutierten Manuela Bruck, Leitung Unternehmenskommunikation Post AG und Tanja Sourek, VP Brand Communications Magenta. Die Kreativ-Agenturen wurden durch Jürgen Bauer, Fachgruppenobmann Werbung und Kommunikation der Fachgruppe Wien, Sebastian Bayer, Vizepräsident IAA sowie Michael Kapfer, CEO GGK Mullenlowe vertreten. Vergaberechtsanwalt Martin Schiefer rundet das hochkarätige Panel ab und bringt eine juristische Perspektive in die spannende Diskussion ein.
Unternehmen fordern engere Zusammenarbeit zwischen den Agenturpartnern
„Wir brauchen eine viel engere Zusammenarbeit zwischen den Agenturen – Die Anforderungen werden immer vielseitiger, in Zukunft werden Lead-Agenturen noch enger mit Partneragenturen zusammenarbeiten und sich gegenseitig ergänzen müssen“, so Tanja Sourek, VP Brand Communications bei Magenta. Dass Unternehmen zukünftig mehr auf Agentur-Netzwerke setzen werden, denkt auch Manuela Bruck, Leitung Unternehmenskommunikation der Post AG: „Unternehmen sollten sich nicht nur auf die Lead-Agentur verlassen: Die wird dir das vorschlagen, was sie am besten kann. Darum ist ein Netzwerk aus Agenturen bereichernd.“ Diese Ansicht vertritt auch die Agenturseite, ist aber auch klar der Meinung, dass es eine strategische Hierarchie braucht, die im Pitch zu definieren sei. Alle sind sich einig, dass sich die Rahmenbedingungen der Vergabeprozesse verändern müssen. Man verglich Ausschreibungsverfahren mit der Partnerwahl auf Tinder.
„Das Problem ist nicht die Schnelllebigkeit, mit der wir tagtäglich zu tun haben, sondern dass bei einer Vergabe klar definiert sein muss, welche Aufgaben erfüllt werden müssen. Wenn das nicht ordentlich läuft, gibt es keine Allianzen, sondern die Agenturen bekämpfen sich gegenseitig“, sagt Jürgen Bauer, Fachgruppenobmann Werbung und Marktkommunikation der Fachgruppe Wien.
Agenturen kritisieren Ausschreibungen und Ideenklau
„Bevor Kriterien für das Vergabeverfahren festgelegt werden, sollte eine Markterkundung durchgeführt werden. Das wird in der Praxis zu selten gemacht, dadurch wird in Pitches unnötig viel Kreativarbeit verlangt und alle Beteiligten verlieren dadurch viel Zeit“, weiß Vergaberechtsanwalt Martin Schiefer. Die verlangte Kreativarbeit wird allerdings nicht entlohnt und schlimmstenfalls nutzen die Unternehmen die Ideen trotzdem. „Ideenklau ist in unserer Branche kein Kavaliersdelikt“, so Jürgen Bauer. Aber wie können sich Agenturen davor schützen? Eine Lösung wären Marktstandards für die Abwicklung von Pitch-Prozessen, die allen bekannt sind. Das würde auch dem Problem entgegenwirken, dass Auftraggeber*innen unrealistische Erwartungen an Agenturen stellen. Das bestätigt Martin Schiefer, der festhält, dass die Opulenz der Ausschreibungsdokumente durchaus im Entscheidungsrahmen von Unternehmen selbst liegt.
Eine krisenfeste Branche – auch in Zukunft?
In kaum einer Branche muss so schnell auf Veränderungen reagiert werden wie in der Kreativbranche. „Dass sich die Umstände schnell verändern, ist kein Problem für unsere Branche. Es ist unser Job, auf aktuelle Trends und Veränderungen zu reagieren. Und dass wir das können, haben wir nicht nur während der Pandemie bewiesen“, erklärt Jürgen Bauer. „Wir sehen, wie sehr sich die Branche weiterentwickelt. Wir sind angehalten, darauf zu reagieren und uns neue Möglichkeiten für Pitch-Prozesse zu überlegen“, fasst Moderator Alexander Oswald abschließend zusammen.
Die Aufzeichnung des Events findet ihr hier: https://www.youtube.com/watch?v=tFVHIJfj0Wk