Nachbericht: Wie werden Marketer und Agenturen künftig zusammenarbeiten? Ein Blick in die Zukunft.
Die Zukunft der Zusammenarbeit: Auch Auftraggeber werden pitchen.
Die Österreichische Marketinggesellschaft (ÖMG) lud zur Podiumsdiskussion im APA-Pressezentrum. Das Thema: „Wie werden Marketeers und Agenturen künftig zusammenarbeiten?“ Das hochkarätig besetzte Podium diskutierte pointenreich die Gestaltung, die Kooperation und die Findung der richtigen Partner im Marketingbereich.
Wird die Agenturbranche sich noch stärker verändern müssen? Glaubt man den Gästen des Podiums der ÖMG-Veranstaltung, so lautet die Antwort: Ja! Modelle, die als agile Kollektive agieren, mit Artists, Spezialist*innen in den Bereichen e-Commerce, Performance, Social Media, uvm. und die von Key Accounts oder Projektleads gesteuert werden, standen gestern auf dem einen Ende der Skala. Kreativagenturen, mit ihrem Fokus auf „die Idee oder neue Kategorien“, und Teams aus Strategie, Konzept, Text und Art Direction standen auf dem anderen Ende der Skala. Die enorme Bandbreite an möglichen Modellen zeigt eines: Es gibt durchaus sehr unterschiedliche „Reifegrade“ in den Marketingabteilungen der Auftraggeber -und ebenso auf Agenturseite.
Wer führt nun „die Marke“?
Alexander Oswald, Präsident der ÖMG und Moderator der Veranstaltung, arbeitete mit seinen Fragen die Unterschiede der möglichen Zugänge heraus. Eine zentrale Frage sorgte in der Diskussion aber für eine deutliche Polarisierung: Wer organisiert Markenführung? Die Markenarbeit, die Kreativagenturen immer wieder für sich in Anspruch nehmen, liegt für Gregor Almassy, CMO von Oppo Overseas, klar auf Auftraggeberseite. „Wenn die Brand nicht weiß, was sie tut, wer dann? Immerhin engagiert ‚der Kunde‘ die Agenturen und nicht umgekehrt. Die Brands müssen wissen, wie sie ihre Marke aufstellen und wohin sie wollen.“ Aber er räumte ein: “Viele Wege führen nach Rom. Für Zusammenarbeit in diesem Bereich gibt es kein one-fits-all Modell.“
Michael Kapfer, CEO der Kreativagentur GGK MullenLowe sieht die Creative Excellence, die neue Kategorien definiert, als zentralen Ankerpunkt. „Der Gedanke, dass Unternehmensberater Agentur spielen, ist absurd. Unternehmensberater kommen vom Cost cutting, Agenturen setzen einen Anspruch.“ Er gestand zu, dass Interdisziplinarität gut und wichtig ist. Und er forderte von Kunden ein, Businessprobleme mit ihren Agenturen zu erläutern. „Nur dann kann man als Agentur neu und anders denken.“
Den Punkt der deutlich strategielastigen Kommunikationsarbeit unterstreicht in der Diskussion auch Doris Christina Steiner, Geschäftsführung Jung von Matt. „Kollektive ja, aber das funktioniert als Patentrezept nicht immer gut. Dieser Ansatz kann durchaus die Schärfe einer Marke nehmen.“ Sie betrachtet das Zuviel an Partnern nur selten als hilfreich, gesteht aber zu, dass die „klassische“ Arbeitsaufteilung in Agenturen (in Text, Konzept und AD), die heute benötigte Geschwindigkeit nimmt. Und: „Zielgruppen gibt es im klassischen Sinn nicht mehr, vielmehr werden heute Filterbubbles bedient“, so Steiner weiter. Die Frage stellt sich, wie weiß ein Auftraggeber, welche Bubbles entstanden sind und welche für ihn relevant sind? Bubbles trennen sich, verbinden sich. Und: „Wie kann man das in einen Beschaffungsprozess eingliedern?“ fragt Martin Schiefer, Kanzlei Schiefer Rechtsanwälte.
„Es gilt Businessprobleme zu lösen. Das ist, was Kunden heute brauchen. Daher ist Relevanz bei uns großgeschrieben. Man muss mehrere Bereiche orchestrieren können – und das beherrschen Kreativagenturen meist nicht. Das Konzept der Leadagentur ist überholt“, kontert Markus Höfinger, Geschäftsführer von Accenture Song. Seine Perspektive reflektiert stark die zunehmende Digitalisierung: „Jeder digitale Touchpoint ist heute als ein POS zu sehen. Das Internet führt dazu, dass ‚Marke – Performance – Commerce‘ in einem close loop laufen müssen“, ergänzt er weiter.
„Ja, das stimmt. Aber ‚Marke‘ ist und bleibt ein dauerndes Experiment,“ reflektiert Tanja Sourek, Vice President Brand & Marketing Com Magenta Telekom Sie sieht eine zunehmende Komplexität, wie sie schon von Gregor Almassy angesprochen wurde. „Ein Produkt wie Netzqualität ist nicht greifbar. Wie mache ich da meine Marke begehrlich? Eine Frage, der wir uns täglich – erfolgreich – stellen.“
Wie gestalten sich die Beziehungen der Zukunft im Marketingbereich?
„Wir müssen uns von der Sichtweise lösen, dass Markenbildung in der heutigen digitalisierten Welt weiterhin nach außen vergeben werden wird“, so Martin Schiefer, Inhaber der Vergabespezialisten-Kanzlei Schiefer Rechtsanwälte. „Was es braucht, ist Geschwindigkeit. Man muss viele „Boote koordinieren, aber das geht nicht ohne ‚Hafenmeister‘. Das Problem: Das Vergaberecht bildet aktuell die nötige Flexibilität für Kreativität und Innovation nicht ab. Das muss sich rasch ändern!“
Markus Höfinger, Accenture Song, nennt dies „die Mitwirkungspflicht des Kunden“, etwas, das auf durchaus viel Diskussionsbedarf auslöst.
Viel wird, wie es scheint, in Zukunft von den Größenordnungen abhängen. Es gibt in Österreich auch viele „Nicht-Konzern-Großkunden“ – Mittelstand, KMUs, die eine namhafte Größe haben, aber durchaus andere Partnersettings benötigen. „Sparringpartner sein kann nur funktionieren, wenn der andere auch einen haben will. Tatsächlich ist das Vergaberecht ein Thema, das an die Zeit angepasst werden muss. Denn: Die Anforderungen sind unterschiedlich, der Bürokratiewust zu gewaltig. ‚Kreativität‘ ist in einem Einkaufsprozess echt schwierig zu vermitteln, denn sie lässt sich nicht in ein Korsett pressen“, so Jürgen Bauer, Obmann der Fachgruppe Werbung und Marktkommunikation.
Die perfekte Symbiose zwischen Kunden und Agentur kann nur funktionieren, wenn man sich aufeinander einlässt. Das erfordert Zeit, um sich intensiv kennenzulernen, sich mit Zielgruppen oder Bubbles, Produkt, Kundenverhalten, uvm. auseinanderzusetzen. Gregor Almassy, Oppo Overseas: „Wenn man jemanden engagieren will, muss man auch bereit sein zu bezahlen, damit dieser lernt. Davor schrecken viele Firmen zurück. Aber: Wenn ich einen Partner an meiner Seite haben will, dann muss ich investieren.“
Ein Mut und ein Investment, die selten sind – darin ist sich das Podium einig. Eine komplexe Strategie in Ausschreibungsprozessen auf maximal zehn Seiten zu begrenzen oder in Rahmenvereinbarungen keine Verbindlichkeit zu schaffen, hilft dabei nicht. Ebenso wenig hilft es, dass wesentliche KPIs nicht im Prozess und später im Team geteilt werden. Pure Daten und Zahlen sind rar, ebenso sind ehrlich Businessherausforderungen selten am Tisch.
„Agenturen sollen Partner sein. Aber: Welchen Prozesslevel kann/ will ich begleiten? Welche Teamstruktur passt? Ganz wesentlich wäre daher im Vorfeld des Ausschreibungsprozesses ein Werte- und Sichtweisen-Abgleich“, so Doris Christina Steiner von Jung von Matt.
Einig sind sich alle Diskutant*innen, dass im Pitch nicht nur von Agenturen gefordert werden sollte. Es braucht durchaus auch „Formblätter“ für und Vorstellungen seitens der Auftraggeber. Das fehlt in vielen Ausschreibungen.
Die Arbeit in Zukunft in Marketing und Werbung
Gerade aktuell ist Werbung vom Umfeld noch stärker beeinflusst: „Es ist nicht gerade die Zeit der mutigen Werbung. Spannend, toll, zum Nachdenken anregen, das ist aktuell nicht groß geschrieben“, meint Kapfer von GGK MullenLowe. „Die einzige ‚Währung‘ heute scheint die: Wiederholung. Obschon es wesentlich wichtiger wäre, gerade heute Menschen zu bewegen.“
Das Bewegen muss aber auch für die Berater*innenseite gelten: Es braucht deutlich mehr Verzahnung mit dem Kunden. „Berater*innen sind bei uns Teil der Kundenteams. Denn: Man muss eng am Kunden sein, sonst kann nichts Relevantes produziert werden. Wir agieren als Anbieter heute wie Scrum-Teams, wie in der IT, da es einen deutlich agileren Modus braucht“, so Markus Höfinger, Accenture Song.
Seniorität muss auf allen Seiten gegeben sein, denn gut geführtes, partnerschaftliches Arbeiten ist essenziell. „Scrum – ja gut – aber es geht eher um das Mindset. Crossfunktionalität ist heute sehr gefragt Jedes Unternehmen beschäftigt sich mit Agilität. Ist das ein Thema in den Agenturen?“ fragt Tanja Sourek, Magenta Telekom, abschließend.
Zur Fotogalerie: https://www.apa-fotoservice.at/galerie/28862/
Die Aufzeichnung des Events finden Sie hier: https://events.streaming.at/oemg-20220531
Wir freuen uns auf Ihre Anmeldung zum nächsten Event am Dienstag, 28. Juni 2022:
Content Marketing & Data – A Love Story | 2022-06-28 – 2022-06-28 (eventmaker.at)